FRANK SCHULZ

Theorie und Didaktik der bildenden Kunst

x plus 1

Die kreativitätspädagogischen Leitsätze, nach denen in diesen Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen gelernt und gelehrt wird, sind auf die Differenzierung von Begabungen, Fähigkeiten und Interessen, auf die Entwicklung eigenständiger, unverwechselbarer Persönlichkeiten ausgerichtet. Das ist das eigentliche Thema, von dem die Theatercollage ›DELTA‹ handelt. Den Auftakt machen die Kinder aus dem Kindergarten mit ihren Impressionen aus dem ›Land der Quellen‹. In der wunderbaren Erfahrungs- und Erlebniswelt, die am Anfang der Kindheit steht, entdecken sie mit viel Freude und Neugier die wie aus unerschöpflichen Quellen sprudelnden Möglichkeiten, auf unterschiedlichsten (Begabungs-)Feldern aktiv zu werden. Es schließt sich die Grundschule mit der ›Suche nach der fünften Himmelsrichtung‹ an. Hier geht es darum, spannungsreich zu erkunden, worauf es ankommt im eigenen Verhalten und Handeln – danach zu suchen, was zwischen dem liegt, was sich oberflächlich oder ›normalerweise‹ anbietet und Ungeahntes aufzuspüren. Und schließlich ›x plus 1‹, der Teil des Gymnasiums. Mit ›1‹ ist der Einzelne gemeint, der nach Schule, Ausbildung oder Studium im wahren Leben ankommt, der seine Identität gefunden und möglicherweise gelernt hat, ›anders zu denken‹. ›x‹, das sind die unzähligen Anderen, auf die er trifft, gewollt und ungewollt, mit denen er sich arrangieren muss, mit denen er Beziehungen eingeht, Freundschaften gar – die er liebt, die er achtet und respektiert, die ihm gleichgültig sind oder die er ablehnt –, sei es im Berufsleben, sei es im Alltag oder bei besonderen Anlässen. Im ersten Bild trifft die erfolgreiche Absolventin eines Masterstudiums auf die Berufswelt und muss feststellen, dass sie sich in festgefügten, unerwartet starren Strukturen bewegen muss. Und sie merkt, dass ihre längst angepassten Kolleginnen und Kollegen ihren Frust in der Freizeit bzw. am Wochenende kompensieren, und zwar durch oberflächliche Aktivitäten, bei denen ›Party‹, ›Fun‹ oder ›Shoppen‹ an erster Stelle stehen. Das zweite Bild ist eine Art Spiegel der Gesellschaft. Touristen, die während einer Flugzeugreise zufällig aufeinandertreffen, legen auch hier wieder Verhaltensweisen an den Tag, bei denen jeder nur an sich denkt und ›klein im Geiste‹ bleibt. Der Versuch, sich dagegen aufzulehnen, wirkt eher peinlich und wird belächelt. Schließlich folgt im dritten Bild eine Hochzeitsszene. Von der eigentlichen Hochzeit wird nichts erzählt, sondern von den Menschen, die dort als Gäste aufeinandertreffen: eine Gelegenheit, über persönliche Ansichten ins Gespräch zu kommen, Gemeinsamkeiten festzustellen, sich abzugrenzen, auch zu streiten … Die Szene endet mit dem Ausblick, den man als Appell begreifen kann, dass man unabhängig von den vielen unausweichlichen Zwängen einen ganz eigenen Weg suchen und gehen muss. Alle Szenen werden auch tänzerisch interpretiert, wobei Darstellung und Tanz miteinander verschmelzen. Sie gehen in bestem Sinne ineinander über. Das Schlussbild wird in gleicher Weise durch Chorgesang gesteigert, was wesentlich zur Komprimierung der Gesamtaussage des Stückes beiträgt.« (Frank Schulz im Programmheft)