FRANK SCHULZ

Theorie und Didaktik der bildenden Kunst

1977: Bildkünstlerischer Schaffensprozess – Leitung bildnerischer Prozesse

Das geschah deshalb, weil sich Günther Regel weigerte, ein grundsätzliches Bekenntnis zur Kultur- und Kunstpolitik der DDR abzugeben. Dies konnte und wollte er nicht, weil seine Forschungsergebnisse ja gerade zeigten, wie wenig förderlich genau diese Kultur- und Kunstpolitik für die Entwicklung derjenigen war, die ihren eigenen Weg in der bildnerischen Gestaltung gehen wollten. Dieser Vorgang kann als Beleg dafür angesehen werden, wie schwierig es war, unter den Bedingungen der DDR kunstpädagogische Forschung, insbesondere zur Eigenart von Kunst und Kreativität zu betreiben, wenn damit an den Grundfesten der Kultur- und Kunstpolitik gerüttelt wurde. Dazu muss man noch Folgendes wissen: Das Verbot der Tagung hatte eine Vorgeschichte. Bereits 1965 richtete Günther Regel eine Tagung aus, und zwar an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, dort war er Professor am Institut für Kunsterziehung. Es ging um das große Thema »Persönlichkeitsentwicklung und Entwicklung bildnerischer Fähigkeiten im Bereich der Bildgestaltung« Diese Tagung fand große Anerkennung auch bei offiziellen Stellen. Der Tagungsbericht ging als Buch im Selbstverlag der Universität in Druck und lag 1968 vor, zu einer Zeit, als in der CSSR der Kampf gegen stalinistische Strukturen begann und als konterrevolutionäre Aktion verunglimpft und niedergeschlagen wurde. Aktivitäten in der von Günther Regel geleiteten »Kleinen Galerie« in Greifswald wurden als Sympathiebekundungen für die Ereignisse in der der CSSR gewertet und als ebensolche konterrevolutionäre Bestrebungen verurteilt. Daraufhin geriet auch seine Arbeit am Greifswalder Institut ins Zwielicht. Schließlich wurde im Nachhinein die positive Einschätzung der drei Jahre zurückliegenden Tagung revidiert, die gesamte Auflage des nun vorliegenden Tagungsberichtes wurde bis auf wenige gerettete Exemplare vernichtet. Günther Regel sollte als Kipperfahrer beim Bau des Kernkraftwerkes Lubmin eingesetzt werden. Zahlreiche Mitstreiter, auch Prominente traten für ihn ein. So konnte Günther Regel im Hochschuldienst bleiben, wurde aber nach zweijähriger Suspendierung 1970 nach Leipzig strafversetzt. Hier war die Universitätsleitung nun besonders misstrauisch gegenüber allem, was er tat. Am Leipziger Institut jedoch startete er neu durch und konnte viele im Kollegium mitreißen. Im Zuge dieses Neubeginns baute er den Lehrstuhl »Theorie der bildenden Kunst« auf, wobei eine dezidiert praxisorientierte Kunsttheorie im Mittelpunkt stand: Es ging um Konsequenzen für einen kunstgemäßen Unterricht in der Schule. Die für 1977 geplante Tagung war Höhepunkt dieser Entwicklung, die mit ihrem Verbot jedoch jäh unterbrochen wurde. Das führte nicht zuletzt auch zu nachhaltigen Spannungen im Kollegium. Günther Regel konnte dennoch im Zusammenwirken mit seinen engsten Mitstreitern seine nonkonformistischen kunstpädagogischen Positionen weiter ausbauen. Die Veröffentlichung seines Buches »Medium bildende Kunst – Bildnerischer Prozess und Sprache der Formen und Farben« wurde über 6 Jahre lang verschleppt; es konnte erst 1986 endlich erscheinen. Als noch 1989 auf dem IX. Pädagogischen Kongress der DDR in Erfurt die Volksbildungsministerin Margot Honecker die Ausgrenzung weiter Teile der modernen Kunst aus der Schule der DDR bekräftigte, protestierte Günther Regel mit einem Offenen Brief (der erst nach der politischen Wende 1990 veröffentlicht werden konnte). In ihm heißt es u. a.: »Wenn es stimmt, dass die Kunst die jeweilige Zeit- und Weltbefindlichkeit der Menschen sichtbar macht, deren innere Welt, deren Betroffenheit von dem, was in der realen, äußeren Welt geschieht, wenn sie die Ängste und Verletzungen der Menschen, aber auch deren Hoffnungen und Sehnsucht nach einem anderen Zustand dieser Welt wiederspiegelt, wenn das stimmt – und daran ist nach aller Einsicht in das Wesen der Kunst überhaupt nicht zu zweifeln –, dann kann uns die moderne Kunst unseres Jahrhunderts und insbesondere der Gegenwart nicht nur helfen, uns selbst zu erkennen und anzunehmen, sondern auch den Charakter unserer Epoche zu empfinden, und zwar tiefer und totaler, als das der wissenschaftlichen Erkenntnis je zugänglich ist. Insofern gilt durchaus, wer zur Kunst seiner Zeit als Ganzes kein Verhältnis besitzt, der lebt nicht in seiner Epoche, der macht sich ein falsches Bild von der Welt, der lässt sich allzu leicht den Blick auf die Welt verstellen.«

Vgl. Regel, Günther (2016): Es geht auch anders! Eine Autobiografie mit fiktiven Gesprächen. Herausgegeben von Johannes Kirschenmann und Frank Schulz. München, S. 283 ff., 394 ff.; Regel, Günther (1990): Brief vom 08.08.1989 an Margot Honecker. In: Kunsterziehung (2), S. 33–37; Regel, Günther (1986): Medium bildende Kunst. Bildnerischer Prozess und Sprache der Formen und Farben. Berlin; Schulz, Frank (2002): Reflexionen zur Institutsgeschichte. In: Schulz, Frank (Hrsg.): Mach Dir ein Bild! 50 Jahre Institut für Kunstpädagogik. Tagung und Absolvententreffen. 27. September 2002. TEXTE. Die GELBE REIHE des Institutes für Kunstpädagogik (11), S. 29–50.