FRANK SCHULZ

Theorie und Didaktik der bildenden Kunst

Was sind Demonstrationsräume?

Lissitzky präsentiert die Bilder in seinen Präsentationsräumen nicht in konventioneller Hängung, sondern in Bezug auf den Raum – anders gesagt, der Raum wird zur Fortführung seiner Bilder. Zugleich bringt Lissitzky quasi seine als Konzept bzw. Theorie vertretenen Positionen zur Anschauung (zur »Vorführung«). Sein Raum lässt sich also nicht auf einen Ausstellungsraum reduzieren. Lissitzky selbst spricht ausdrücklich von einem »Ausstellungs-Schau-Raum, für mich also Demonstrationsraum« (in: Lissitzky-Küppers 1976, S. 365). Bahtsetzis sieht darin vor allem, dass die bildimmanente Thematik um die Art der Präsentation erweitert wird und somit die frühe Vorwegnahme dessen ist, was sich später zur ganz eigenständigen Kunstform der Installation entwickelt (Bahtsetzis 2006, S. 158). Man kann aber gerade in Lissitzkys Demonstrationsräumen auch eine spezifische Synthese von künstlerisch-praktischen und reflexiv-theoretischen Ergebnissen seiner Arbeit sehen: Er führt sein künstlerisch-praktisches Handeln ebenso vor wie sein (kunst-)theoretisches Denken – offen für die aktive Präsenz der Ausstellungs-, besser der Vorführungsbesucher. Das korrespondiert mit einem Verständnis einer Installationskunst »als Transformationsmedium und Dritter Raum« (vgl. Hopfener 2013, S. 34 ff.). Der »Dritte Raum« – gemäß einer Charakterisierung durch den indischen Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha – meint dabei einen »Ort der Übersetzung«, in dem etwas Drittes, etwas Neues generiert werde, nämlich ein konzeptioneller, physikalisch nicht messbarer Raum (vgl. Hopfener 2013, S. 29 f.). Im Jahr 2000 realisierte das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden eine Ausstellung zum Thema Kosmos im Kopf: Gehirn und Denken, die das Prinzip des Demonstrationsraumes in überraschender Art und Weise aufgriff. Nicht zuletzt durch diese innovative Herangehensweise fand die Ausstellung weltweite Beachtung. Inzwischen ist sie eine Art Markenzeichen des Museums. Was war das Besondere? Die einzelnen Ausstellungsräume wurden mit Bezug auf Bereiche und Funktionen des Gehirns als Korridor, Sektionssaal, Bibliothek, Wohnzimmer, Uhrenladen, Wartehalle, Dunkelkammer, Klassenzimmer, Fotoatelier, Werkstatt, Ballettstudio, Durchgangszimmer, Frisiersalon, Kino, Archiv, Eisbar, Gewächshaus oder Atelier begriffen. Dementsprechend ist übrigens auch das Begleitbuch der Ausstellung strukturiert, ergänzt durch themengleiche Fotografien aus der zeitgenössischen Fotokunst. (Abb. 2) Die Kuratoren – Spezialisten aus unterschiedlichen Bereichen der Naturwissenschaften – arbeiteten dabei mit zwei Künstlern zusammen: Via Lewandowsky und Durs Grünbein, um ein »integratives Ganzes« in der Bearbeitung des Themas zu erreichen, wie Direktor Klaus Vogel begründet (Deutsches Hygienemuseum 2000, S. 7). Via Lewandowsky spricht von einer besonderen »Begegnung von ›Art and Sience‹« in den Ausstellungsräumen: »Aus einer wissenschaftlichen Ausstellung zum Gehirn und zum Denken wird so ein Kunstwerk, das für den Wissenschaftler genauso unterhaltsam und lehrreich ist wie für den Laien.« (Lewandowsky in: Deutsches Hygienemuseum 2000, S. 12).  Während sich Lissitzky mit seinen Demonstrationsräumen von der Kunst aus der (Kunst-)Theorie näherte und versuchte, beide zu verschmelzen, gehen solche neuartigen »Art-and-Sience-Räume« von der Wissenschaft aus auf die Kunst zu – mit dem gleichen Ziel: ein Ganzes zu bilden, dessen einzelne Elemente durchaus unterschiedliche Gewichtungen und Ausrichtungen haben können. Es entstehen Zonen, Plätze, Passagen, Räume, in denen transdisziplinäre Prozesse mit gegenseitigen Synergien möglich sind (vgl. Tröndle / Warmers 2012), zugleich auch eine interaktive, partizipative Komponente besitzen können. Schließlich geht es um Orte, »die zur Reflexion einladen, zum interaktiven Miteinander«, um Räume, in denen Gattungsgrenzen »durchlässiger, klassische Trennungen der Disziplinen nicht mehr klar zu ziehen« sind, »transgressive Herangehensweisen und Prozesse die genreübergreifenden Manifestationen im kulturellen Feld« bestimmen (Divjak  2012, S. 15). 

Vgl. Schulz, Frank (2014): Demonstrationsräume als Medium und Produkt komplexer kunstpädagogischer Aktivitäten. In: Barbara Lutz-Sterzenbach / Maria Peters / Frank Schulz (Hrsg.) (2014): Bild und Bildung. Praxis, Reflexion, Wissen im Kontext von Kunst und Medien. München, S. 333 ff.

Quellen:

Bahtsetzis, Sotirios (2006): Geschichte der Installation. Situative Erfahrungsgestaltung in der Kunst der Moderne, Berlin.

Deutsches Hygiene-Museum Dresden (Hg. in Zusammenarbeit mit Via Lewandowsky und Durs Grünbein) (2000): Kosmos im Kopf. Gehirn und Denken, Begleitbuch zur Ausstellung »Kosmos im Kopf: Gehirn und Denken« im Deutschen Hygiene-Museum Dresden vom 14. April bis 25. Oktober 2000, Ostfildern.

Divjak, Paul (2012): Integrative Inszenierungen. Zur Szenografie von partizipativen Räumen, Bielefeld.

Hopfener, Birgit (2013): Installationskunst in China. Transkulturelle Reflexionsräume einer Genealogie des Performativen, Bielefeld.

Lissitzky-Küppers, Sophie (1976): El Lissitzky. Maler, Architekt, Typograf, Fotograf. Erinnerungen, Briefe, Schriften, Dresden.

Tröndle, Martin / Warmers, Julia (Hrsg.) (2012): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft. Beiträge zur transdisziplinären Hybridisierung von Wissenschaft und Kunst, Bielefeld.